In Deutschland sind über 95 % der Bevölkerung an die Kanalisation angebunden, damit hat Deutschland ein sehr großes Abwassernetz. Mehr Informationen zum Abwassernetz in Deutschland haben wir auch hier für Sie zusammengefasst. Unsere Kanalisation zählt ebenfalls zur wichtigen und kritischen Infrastruktur, neben Trinkwasserleitungen und Rohrleitungen zur Energieversorgung (z. B. Gas, Fernwärme, etc.).
Voraussetzung für ein langfristig funktionierendes und wasserdichtes Kanalnetz ist neben der Verwendung geeigneter und beständiger Bau- und Werkstoffe vor allem die fachgerechte Herstellung der Abwasserleitungen und Abwasserkanäle. Somit existieren auch für das Abwassernetz Vorgaben bezüglich Bau, Inbetriebnahme und Instandhaltung der einzelnen Komponenten, vergleichbar zum Trinkwassernetz.
Dichte Abwasserleitungen haben einen großen Einfluss auf den örtlichen Wasserhaushalt in vielerlei Hinsicht und schützen die Ressource Wasser. Mit einem dichten Abwassernetz würde bis zu ein Viertel weniger Wasser in den Kläranlagen aufbereitet werden müssen, die Reinigungsleistung dieser Anlagen würde sich erhöhen, allerdings mit weniger Energieaufwand. Darüber hinaus wirken undichte Leitungen wie Drainagerohre und können den Grundwasserspiegel senken oder im schlimmsten Fall das Grundwasser noch verunreinigen.
Im Folgenden beschreiben wir die wichtigsten Regelwerke für das Abwassernetz in Bezug auf die Prüfung von Abwasserleitungen und -kanälen und zeigen die Unterschiede in den einzelnen Regelwerken und Verfahren für das deutsche Abwassernetz auf.
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Was ist die DIN EN 1610?
Die Norm EN 1610 beschreibt den europäischen Standard für Einbau und Prüfung von Abwasserleitungen, -kanälen und Schächten in Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden. Sie ist eine Detailnorm zur übergeordneten Norm EN752, welche sich auf deutlich allgemeinerer Ebene mit Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden befasst. Die Norm gilt für das öffentliche Abwassernetz.
In der EN 1610 sind Prüfverfahren als Abnahmeprüfung für neu verlegte Rohrleitungen, Kanäle oder Schächte vorgesehen. Auch nach einer Erneuerung von Leitungen ist eine Abnahmeprüfung ebenfalls durchzuführen. Die Vorgaben der folgenden Prüfverfahren gelten ausschließlich für drucklose Leitungsteile unter Freispiegelbedingungen (Freigefälleleitungen, Freispiegelleitungen). Rohrleitungen, die unter Druck betrieben werden, z. B. Druckleitungen hinter einem Pumpwerk, müssen nach den Anforderungen aus der Norm EN 805 geprüft werden.
In der Norm EN 1610 sind zwei Verfahren zur Dichtheitsprüfung von Freispiegelleitungen vorgesehen: das Verfahren „L“ mit dem Prüfmedium Luft und das Verfahren „W“ mit dem Prüfmedium Wasser.
Die einzelnen Prüfverfahren erläutern wir hier:
Das DIN EN 1610 Verfahren Luft "L" zur Dichtheitsprüfung
Dieses Verfahren wird mit Überdruck und mit dem Prüfmedium Luft durchgeführt. Es kann bei unterschiedlichen Prüfdruckvorgaben durchgeführt werden, wodurch sich eine weitere Unterteilung der Verfahren ergibt:
LA 10 mbar Prüfdruck
LB 50 mbar Prüfdruck
LC 100 mbar Prüfdruck
LD 200 mbar Prüfdruck
Der Ablauf jedes Verfahrens besteht aus einer Druckaufbauphase (auf 1,1 x STP), einer Beruhigungsphase (Dauer 5 Minuten), einer Druckabsenkung auf STP und einer Hauptprüfungsphase.
Werte für die Dauer und den zulässigen Druckabfall der Hauptprüfung sind für jede Prüfdruckvorgabe festgelegt. Zur Durchführung der Prüfung werden üblicherweise Dichtkissen (Absperrblasen) verwendet, die den zu prüfenden Abschnitt/Schacht isolieren. Zur Durchführung der Prüfung ist Druck-Messtechnik mit ausreichender Genauigkeit (Fehlergrenze maximal 10 % des zulässigen Druckabfalls) erforderlich.
Das Verfahren Luft ist vermutlich das gängigste Verfahren, da es mit überschaubarem Aufwand bzgl. Messtechnik und Arbeitszeit an den meisten Rohrleitungen und -kanälen durchführbar ist.
Dahingegen sollten Schächte und Inspektionsöffnungen laut DIN EN 1610 mit dem Verfahren Wasser „W“ geprüft werden, welches im Folgenden beschrieben wird.
Das DIN EN 1610 Verfahren Wasser "W" zur Dichtheitsprüfung
Dieses Verfahren wird mit dem Prüfmedium Wasser durchgeführt und wird üblicherweise für Schächte und Inspektionsöffnungen angewendet. Dabei wird der zu prüfende Schacht mit entsprechender Absperrtechnik (Dichtkissen) isoliert und anschließend bis zur Oberkante des Konus oder bis zur Unterkante der Abdeckplatte gefüllt. Durch die Wassersäule im Schacht entsteht ein Prüfdruck, welcher theoretisch gemessen und im Laufe der Prüfung aufrecht gehalten werden müsste.
Nach dem Füllen des Schachts kann eine Beruhigungsphase (optional) erfolgen, anschließend startet die 30-minütige Hauptprüfung, welche sozusagen eine Wasserverlustmessung ist. Im Gegensatz zu einer Druckverlustmessung ist nicht der Druckabfall in dem Prüfobjekt die entscheidende Bewertungsgröße, sondern die zugeführte Wassermenge, die notwendig war, um den „Ausgangs“-Zustand zu Beginn der Prüfung wiederherzustellen. Der „Ausgangszustand“ kann entweder über eine Druckmessung (wie in der EN 1610) beschrieben oder analog über eine Pegelmessung der Wassersäule im Schacht erfolgen.
Während der Hauptprüfung wird mithilfe einer Pegelsonde eine mögliche Pegelabsenkung gemessen, woraufhin durch Zuführen einer bestimmten Wassermenge der ursprüngliche Pegelstand wiederhergestellt werden kann. Die zulässige Wassermenge während der 30-minütigen Hauptprüfung an einem Schacht beträgt z. B. 0,4 Liter/Quadratmeter Schachtoberfläche. Bei einem DN1000-Schacht mit 4 Meter Tiefe ist das eine zulässige Wassermenge von ca. 5 Litern.
Das Arbeitsblatt DWA-A 139
Für Deutschland erarbeitet die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA) die EN 1610 ergänzenden, nationalen Regelungen in Form von Merk- und Arbeitsblättern. Das Arbeitsblatt DWA-A 139 hat also einen vergleichbaren Geltungsbereich wie die EN 1610 und beinhaltet zusätzliche Anforderungen für in Deutschland neu gebaute Abwasserleitungen, -kanäle und -schächte.
Im Folgenden gehen wir ausschließlich auf die Unterschiede in den Vorgaben zur Dichtheitsprüfung zwischen DIN EN 1610 und DWA-A 139 ein.
Die Unterschiede im DWA-A 139 Verfahren Luft "L"
Das Arbeitsblatt DWA-A 139 enthält ergänzende Regelungen zur DIN EN 1610, weshalb das Verfahren grundsätzlich nach identischen Vorgaben abläuft. Unterschiede bestehen in einigen Details, z. B. ist gemäß DWA-A 139 aus messtechnischen Gründen nur noch die Verwendung der Verfahren LC und LD erlaubt. Zusätzlich muss ein geeignetes Prüfverfahren abhängig vom Grundwasserstand gewählt werden. Bei Grundwasserständen oberhalb der Rohrsohle ist nur noch das Verfahren LC erlaubt, bei Grundwasserständen oberhalb 1 Meter über Rohrsohle ist ausschließlich das Verfahren Wasser „W“ anzuwenden. Der Grundwasserstand muss zwingend dokumentiert werden. Auch der Prüfdruck muss entsprechend zum Grundwasserstand ggf. erhöht werden.
Dichtheitsprüfungen von Schächten sind laut DWA-A 139 ausschließlich nach dem Verfahren Wasser „W“ durchzuführen. Insgesamt wird im Arbeitsblatt DWA-A 139 das Verfahren Wasser „W“ als aussagekräftiger bewertet und wird als maßgebende Prüfung bezeichnet.
Die Unterschiede im DWA-A 139 Verfahren Wasser "W"
Die Prüfung nach dem Verfahren Wasser „W“ erfolgt größtenteils nach den Vorgaben aus der EN 1610. Sie dient als maßgebend und kann bei fehlgeschlagener Prüfung nach dem Verfahren Luft „L“ als Wiederholungsprüfung durchgeführt werden. Als Bewertungskriterium der Hauptprüfung werden die zulässigen Wasserzugabewerte aus der EN 1610 herangezogen. Zur Wiederherstellung bzw. Aufrechterhaltung des „Startzustands“ des Prüfobjekts sollen Pegelsonden mit einer Messgenauigkeit von 1 mm verwendet werden.
Das Merkblatt DWA-M 149 für Abwasserleitungen im Bestand
Zur „Zustandserfassung und -beurteilung von Entwässerungssystemen außerhalb von Gebäuden“ hat die DWA die Arbeitsblattreihe DWA-M 149 erlassen. In Teil 6 (DWA-M 149-6) wird beschrieben, wie der Zustand der in Betrieb befindlichen Entwässerungssysteme mithilfe einer Druckprüfung beurteilt werden kann.
Abwasserleitungen und -kanäle im Bestand können wiederum mit dem Verfahren „L“ oder mit dem Verfahren Wasser „W“ geprüft werden, wobei die Grenzwerte und Vorgaben der Prüfungen deutlich moderater sind, d.h. an neu verlegte Leitungen werden höhere Ansprüche bei der Dichtheitsprüfung gestellt als an bereits in Betrieb befindliche Leitungen.
Somit sind Prüfdrücke, Beruhigungszeiten, Prüfzeiten und Werte für den zulässigen Druckabfall (Verfahren „L“) bzw. für die zulässige Wasserzugabe (Verfahren „W“) entsprechend angepasst.