In unserem Beitrag vom 09. Juni 2020 Einsatz bestehender Messtechnik in Gasnetzen mit Wasserstoff-Anteilen sind wir auf die Eigenschaften von Wasserstoff, die Eignung unterschiedlicher Sensortechnik sowie den Explosionsschutz der Geräte beim Einsatz in Erdgas-Wasserstoff-Gemischen eingegangen. Wir wollen in diesem Beitrag an den Explosionsschutz der Geräte anknüpfen und dieses Thema aufgrund der Aktualität vertiefen.
ATEX Richtlinie
Jedes Gasmess- bzw. Gaswarngerät, das zur bestimmungsgemäßen Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen nach ATEX-Richtlinie vorgesehen und entsprechend zertifiziert ist, hat eine eigene Kennzeichnung, die auf dem Gerät sichtbar ist. Sie beinhaltet verschiedene Informationen, die für den Explosionsschutz relevant sind. Anhand der Kennzeichnung unseres Gasmess- & Gaswarngerätes OLLI wollen wir verdeutlichen was dahinter steckt.
Explosionsgruppe
Ein Bestandteil der Kennzeichnung ist die Explosionsgruppe. Gase und Gasgemische werden für den praktischen Explosionsschutz in drei Gruppen eingeteilt.
- IIA: Hierunter fallen typischerweise Gase wie z. B. Methan, Ethan, Propan, etc.
- IIB: Hierunter fallen Ethylen, Kohlenwasserstoff und Gasgemische wie Stadtgas, das bis zu 60 Vol.-% Wasserstoff enthalten konnte
- IIC: Hierunter fällt z. B. reiner Wasserstoff (Wasserstoff Explosionsgruppe)
Die höhere Explosionsgruppe schließt die jeweils niedrigere Explosionsgruppe mit ein, d. h. IIB schließt IIA ein.
Normspaltweite und Mindestzündenergie
Vor dem Hintergrund der vereinbarten Klimaschutzziele wird in Deutschland immer mehr Erdgasnetzen Wasserstoff beigemischt. Am Anfang waren es < 10% Beimischung, mit der aktuellen Version des DVGW Arbeitsblattes G 260 (Gasbeschaffenheit) sind nach Einzelfallprüfung bis zu 20% möglich und mittlerweile gibt es schon erste (Test-)Netze bzw. Forschungsprojekte mit 30% Beimischung. Daher stellt sich die Frage in welche Explosionsgruppe diese Erdgas-Wasserstoff-Gemische eingeteilt werden müssen und welche Kriterien hierfür hinzugezogen werden.
Im Bereich des elektrischen Explosionsschutzes (man kann auch vom Zündschutz sprechen) erfolgt die Bestimmung über die sogenannte Normspaltweite (NSW) und Mindestzündenergie (MZE).
- Anhand der Normspaltweite wird die Zündfähigkeit eines Gasgemisches, welches über einen fest definierten Spalt austritt, bestimmt. Als Grenzspaltweite (MESG – Maximum Experimental Safe Gap) bezeichnet man die Spaltweite, bei der eine Zündung des Gemisches nach Austritt aus dem Spalt gerade nicht mehr möglich ist. Sie wird in einem normierten Verfahren für verschiedene Gasgemische bestimmt.
- Die Mindestzündenergie ist der Mindestwert der elektrischen Energie, die ein Gasgemisch in zündwilligster Zusammensetzung gerade noch entzündet. Dazu wird in einem normierten Verfahren die Zündfähigkeit von Gasen mit einem Normstromkreis bestimmt. Der ermittelte Mindestzündstrom bezogen auf den Mindestzündstrom von Methan ergibt das Mindestzündstromverhältnis (MIC – Minimum Ignition Current).
Grenzspaltweite und Mindestzündstrom
Bei der Einteilung von Gasgemischen in die oben genannten Explosionsgruppen können die Grenzspaltweite und der Mindestzündstrom als gleichwertig betrachtet werden. Zwischen den beiden Größen besteht ein funktioneller Zusammenhang, so dass sie ineinander umgerechnet werden können. Hierzu hat die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) einen Bericht veröffentlicht, in dem folgende Grafik dargestellt wurde.
Das bedeutet, dass sowohl die Norm- bzw. Grenzspaltweite als auch die Mindestzündenergie bzw. der Mindestzündstrom für die Einteilung von Gasgemischen in Explosionsgruppen herangezogen werden können.
Der Vollständigkeit halber wollen wir auch die Beziehung zwischen den drei Größen darstellen.
Forschungsvorhaben Wasserstoff im bestehenden Erdgasnetz von 2015
Kommen wir zurück auf den steigenden Anteil von Wasserstoff im bestehenden Erdgasnetz. Die Bundesanstalt für Materialforschung (BAM) hat 2015 zu diesem Thema ein Forschungsvorhaben in Zusammenarbeit mit der DBI Gas- und Umwelttechnik GmbH und mit finanzieller Unterstützung der BG ETEM durchgeführt und 2016 einen Abschlussbericht dazu veröffentlicht. Der Bericht Sicherheitstechnische Eigenschaften von Erdgas-Wasserstoff-Gemischen steht über die Homepage der BG ETEM zum Download bereit.
Untersucht wurde im Rahmen dieses Vorhabens unter anderem die Frage, inwieweit sich die Zugabe von 10 Vol.-% Wasserstoff zum Erdgas bereits auf die NSW und damit auf die Explosionsgruppe des Erdgas-Wasserstoff-Gemisches auswirkt. Hierbei wurden keine nennenswerten Unterschiede festgestellt, so dass eine Einteilung in die niedrigste Explosionsgruppe IIA weiterhin Bestand hat. In der PTB wurden mit einer baugleichen Apparatur die NSW von Wasserstoff-Methan-Gemischen untersucht und der BAM für das Forschungsvorhaben zur Verfügung gestellt. In beiden Fällen (Erdgas & Methan) wurde erst ab einer Zugabe von etwa 30% Wasserstoff die Explosionsgruppe IIB erreicht. Die Versuche wurden mit verschiedenen Wasserstoffanteilen bis hin zu 100% sowohl mit Erdgas als auch mit Methan durchgeführt. Die Ergebnisse können den beiden Grafiken entnommen werden.
Anhand dieser Ergebnisse lässt sich festhalten, dass erst ab einer Zugabe von etwa der doppelten Menge Wasserstoff zum Erdgas, als mit 30% Zugabe geplant (d. h. ab ca. 60 Vol.-%), die Explosionsgruppe IIC erreicht wird.
Zündschutzart
Neben der Explosionsgruppe ist die Zündschutzart ein weiterer Bestandteil der Kennzeichnung von Gasmess- und Gaswarngeräten. Hier gibt es verschiedene Arten des Zündschutzes, wie z. B.
- Geräteschutz durch druckfeste Kapselung „d“
- Geräteschutz durch Überdruckkapselung „p“
- Geräteschutz durch erhöhte Sicherheit „e“
- Geräteschutz durch Eigensicherheit „i“
- uvm.
Die Anforderungen an Geräte mit der jeweiligen Zündschutzart sind allesamt in der Normenreihe DIN EN 60079 beschrieben. Anhand des eingangs erwähnten Beispiels unseres OLLI wollen wir die beiden Zündschutzarten druckfeste Kapselung „d“ und Eigensicherheit „i“ erläutern.
Druckfeste Kapselung
Bei der druckfesten Kapselung „d“ findet die zuvor dargelegte Normspaltweite Anwendung. Die in Gasmess- & Gaswarngeräten verbauten Sensoren besitzen allesamt eine eigene Zündschutzart und damit Kennzeichnung, welche unabhängig von der Zündschutzart und Kennzeichnung des Messgerätes ist bzw. sein kann. Die im OLLI eingesetzten Sensoren sind entweder von sich aus druckfest gekapselt oder werden eigensicher beschaltet.
Eigensicherheit
Ein Hauptkriterium zur Bewertung der Eigensicherheit „i“ eines Gasmess- & Gaswarngerätes ist die Mindestzündenergie, welche ebenfalls behandelt wurde. Hierbei geht es darum, dass bei den Energiespeichern im Gerät (z. B. Kapazitäten, Induktivitäten) bestimmte Grenzwerte nicht überschritten werden dürfen. Da die Mindestzündenergie bei Zugabe von Wasserstoff zum Erdgas im Vergleich zu normalem Erdgas reduziert wird, steigen im gleichen Zug die Anforderungen an das Gerät mit höherer Zündschutzklasse bzw. Explosionsgruppe (IIA, IIB oder IIC). Ebenso steigen die Anforderungen an die elektrostatischen Eigenschaften der Gehäuseoberfläche des Messgerätes.
Aufgrund der Vergleichbarkeit von Norm- bzw. Grenzspaltweite und Mindestzündenergie bzw. Mindestzündstrom hinsichtlich der Einteilung von Erdgas-Wasserstoff-Gemischen in die zu Beginn genannten Explosionsgruppen lässt sich auch hier festhalten, dass Messgeräte mit einer IIB Zertifizierung bei einer geplanten Zugabe von 30% Wasserstoff zum Erdgas verwendet werden dürfen.
Bitte beachten Sie, dass wir mit diesen Angaben Unterstützung zur Beurteilung eines geeigneten Gaswarngerätes geben möchten. Letztlich muss der Betreiber im Rahmen seiner Gefährdungsbeurteilung einschätzen, welche Gefahren für Leib und Leben zu erwarten sind und entsprechend geeignete Geräte dafür auswählen.
Für eine Beratung stehen wir gerne zur Verfügung. Laden Sie sich gerne unsere ATEX-Übersicht zu allen Richtlinien und Normen für Gasdetektoren herunter.